Bulgarischer Historiker kritisiert Wagenknechts Ukraine-Haltung scharf

Stefan Kotev wirft Sahra Wagenknecht kolonialistische Denkweise vor. Ihre Forderung nach Gebietsabtretungen der Ukraine an Russland stößt auf heftige Kritik aus Osteuropa.

5. Oktober 2024, 09:18  •  0 ansichten

Bulgarischer Historiker kritisiert Wagenknechts Ukraine-Haltung scharf

Der bulgarische Historiker Stefan Kotev hat in einem Doppelinterview mit dem "Handelsblatt" scharfe Kritik an Sahra Wagenknechts Haltung zum Ukraine-Konflikt geübt. Kotev bezeichnete Wagenknechts Einstellung als "kolonialistisch" und für Osteuropäer beleidigend.

Sahra Wagenknecht, die bis 2021 Mitglied der Linkspartei war und im Januar 2024 das "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW) gründete, hatte zuvor die ukrainische Regierung für ihre Forderung kritisiert, dass sich russische Truppen von der Krim zurückziehen müssten. Sie bezeichnete dies als "vollkommen unrealistisch" und argumentierte, dass solche Maximalziele das Sterben verlängern würden.

Kotev widersprach vehement: "Sie sehen die Region als Verfügungsmasse zwischen Russland und dem Westen, nicht als selbst bestimmte Nationen." Er betonte, dass Osteuropa seit 250 Jahren von Großmächten wie dem Osmanischen Reich und dem Zarenreich überfallen wurde und die Menschen dort selbst über ihren Weg entscheiden wollen.

Die Krim, die völkerrechtlich zur Ukraine gehört, wurde 2014 von Russland annektiert. Die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj, der seit 2019 im Amt ist, fordert als Bedingung für ein Friedensabkommen die Wiederherstellung der Grenzen von 1991.

Wagenknecht verteidigte ihre Position: "Die Russen wollen kein US-Militär an ihrer Grenze. Und ich möchte Frieden in Europa." Kotev entgegnete, dass auch er Frieden wolle, aber Wagenknecht nicht über das Schicksal osteuropäischer Länder zu entscheiden habe.

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Kritik übte Kotev auch an Wagenknechts Äußerungen zu China. Sie hatte die "intelligente Industriepolitik" des Landes gelobt, obwohl sie es als Diktatur bezeichnete. Kotev fand diese Begeisterung für China befremdlich und wies auf die starke staatliche Kontrolle hin.

Die Haltung des BSW zum Ukraine-Konflikt spielt auch bei Sondierungsgesprächen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg eine Rolle, wo die Partei möglicherweise an die Regierung kommen könnte. Ein kürzlich veröffentlichter Gastbeitrag von Dietmar Woidke (SPD), Michael Kretschmer (CDU) und Mario Voigt (CDU) in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der teilweise Wagenknechts Positionen übernahm, löste scharfe Kritik aus. Friedrich Merz, seit 2022 CDU-Bundesvorsitzender, distanzierte sich von dem Schreiben.

Das BSW gilt neben der 2013 gegründeten AfD als stärkste Vertreterin russischer Positionen in der deutschen Politik. Die Debatte zeigt die komplexen Herausforderungen in der deutschen Außenpolitik, insbesondere im Kontext des seit Februar 2022 andauernden Ukraine-Krieges und der Beziehungen zu Russland.

"Frau Wagenknecht, für mich als Osteuropäer ist das, was Sie sagen, eine Beleidigung. Ihre Einstellung ist kolonialistisch."

Stefan Kotev

Die Kontroverse um Wagenknechts Äußerungen verdeutlicht die Sensibilität historischer und geopolitischer Fragen in Osteuropa. Bulgarien, Kotevs Heimatland, ist seit 2004 NATO-Mitglied und seit 2007 Teil der EU, was die Bedeutung westlicher Bündnisse für viele osteuropäische Staaten unterstreicht.