Russische Spionage in Nord- und Ostsee: Kritische Infrastruktur im Visier

Internationale Recherchen decken systematische russische Spionageaktivitäten in Nord- und Ostsee auf. Forschungsschiffe zielen auf Windparks, Datenkabel und NATO-Einrichtungen ab.

25. September 2024, 00:55  •  0 ansichten

Russische Spionage in Nord- und Ostsee: Kritische Infrastruktur im Visier

Eine umfangreiche internationale Untersuchung hat beunruhigende Erkenntnisse über russische Spionageaktivitäten in der Nord- und Ostsee zutage gefördert. Die Recherche, an der deutsche Medien wie NDR, WDR und die "Süddeutsche Zeitung" beteiligt waren, analysierte mehr als 400 Fahrten von 72 russischen Forschungsschiffen.

Die Ergebnisse zeigen, dass russische Schiffe mindestens 60 Mal mit deaktiviertem Ortungssystem operierten und verdächtige Manöver in der Nähe kritischer Infrastrukturen durchführten. Zu den Zielen gehörten NATO-Tauchgebiete, Gaspipelines, Datenkabel und Windparks. Bruno Kahl, Präsident des Bundesnachrichtendienstes, äußerte sich besorgt: "Wir halten die Gefahr für sehr konkret."

Ein besonders auffälliger Fall ereignete sich im Oktober 2023, als das russische Forschungsschiff "Evegenyi Gorigledzhan" im Windpark "Arcadis Ost 1" vor Rügen entdeckt wurde. Das Schiff hatte seine Transponder ausgeschaltet und wurde von der Bundespolizei aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Anschließend fuhr es in ein NATO-U-Boot-Tauchgebiet in der dänischen Außenwirtschaftszone, wo es stundenlang auffällige Zickzack-Muster fuhr.

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Die "Evegenyi Gorigledzhan" gehört zum geheimen Tiefseeforschungsprogramm der russischen Streitkräfte (GUGI). Offiziell betreiben diese Schiffe "hydrographische Forschung", doch Experten vermuten andere Absichten. Der dänische Militäranalyst Jens Wenzel Kristoffersen zeigte sich erstaunt über die scheinbar ungestörten Aktivitäten des Schiffes:

"Es scheint sehr, sehr seltsam zu sein, dass wir dem, was hier passiert, nicht mehr Aufmerksamkeit schenken. Nach den AIS-Daten scheint es bis zu acht Stunden zu dauern, bis ein kleines Schiff der deutschen Küstenwache eintrifft. Acht Stunden mitten in der Nacht, während dieses Schiff hin und her fährt und irgendetwas tut. Und man darf nicht vergessen, dass das nicht irgendwer ist. GUGI ist bekannt. Das sind hochprofessionelle Leute".

Jens Wenzel Kristoffersen, dänischer Militäranalyst

Die Recherchen ergaben weitere verdächtige russische Fahrten vor den Küsten von Dänemark, Estland, Norwegen, dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden und Finnland. In den meisten Fällen hielten sich die Schiffe in den Außenwirtschaftszonen (AWZ) der betroffenen Länder auf, die sich bis zu 200 Seemeilen von der Küste erstrecken.

Ein ehemaliger Matrose eines solchen Schiffes berichtete, dass die Infrastrukturen genau vermessen werden, möglicherweise um sie im Kriegsfall gezielt zerstören zu können. Diese Aktivitäten könnten Teil von Moskaus hybrider Kriegsführung gegen den Westen sein, die militärische und nicht-militärische Taktiken kombiniert.

Die aktuelle Rechtslage erschwert den Anrainerstaaten ein konkretes Vorgehen gegen die mutmaßlichen Spionageaktivitäten. Bislang bleibt den betroffenen Ländern nur die Möglichkeit, eigene Schiffe für Präsenzfahrten einzusetzen und verdächtige russische Schiffe zu begleiten. Seit Beginn des Jahres 2023 hat die Bundespolizei in 102 Fällen russische Schiffe eskortiert.

Experten empfehlen den Einsatz verbesserter Unterwasser-Sensorik, um verdächtige Bewegungen besser zu überwachen. Dies ist besonders wichtig, da Unterwasser-Datenkabel etwa 97% des globalen Internetverkehrs transportieren und Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee einen signifikanten Teil des erneuerbaren Stroms produzieren.

Die Situation unterstreicht die Notwendigkeit einer verstärkten internationalen Zusammenarbeit zur Sicherung kritischer maritimer Infrastrukturen. Die NATO, die 1949 gegründet wurde und derzeit 31 Mitgliedstaaten zählt, steht vor der Herausforderung, auf diese neue Form der Bedrohung zu reagieren.